Stärkung emotionaler Kompetenzen durch bewegungsbasierten kreativen Ausdruck

Kategorie Projekt

Ausgangslage und Ziele

Der Austausch zwischen Wissenschaftler:nnen und der Praxis beabsichtigt, ein nachhaltiges transnationales Netzwerk aufzubauen und die (Weiter-)Entwicklung evidenzbasierter kreativ künstlerisch-bewegungsbasierter Interventionen für die Psychomotoriktherapie (PMT) voranzutreiben. Evidenzbasierte Interventionen werden dringend in der Behandlung von Kindern mit emotionalem Unterstützungsbedarf benötigt, um emotionale Probleme zu reduzieren und Gesundheitskompetenzen zu stärken. Die Projekterkenntnisse werden in Aus- und Weiterbildungsinhalten einfliessen und in Publikationen, Tagungsbeiträgen und einem Symposium (Freitag, den 26. Juni 2026) dem nationalen und internationalen Publikum zugänglich gemacht werden.

Projektleitung

Iris Bräuninger Titel Dr. rer. soc.

Funktion

Senior Researcher

Fakten

  • Dauer
    10.2024
    12.2026
  • Projektnummer
    2_38

Projektteam

Ausgangslage

Die Psychomotoriktherapie (PMT) ist in der Deutschschweiz gut im Bildungssystem integriert und nimmt eine wichtige Rolle bei der Identifizierung von Problemen und Bereitstellung von Lösungen zur Förderung von Kindern mit sozio-emotionalem und motorisch-sensorischem Unterstützungsbedarf ein. Ein Bedarf besteht hingegen, evidenzbasierte PMT-Interventionen zur Behandlung internalisierender Probleme zu entwickeln. Eine schweizweite Online-Umfrage ergab, dass 66 % der befragten Therapeut:innen (N = 171) häufig bis sehr häufig Kinder mit emotionalem Förderbedarf in der PMT behandeln (Widmer & Bräuninger, 2020). Eine randomisierte Studie identifizierte, dass 50 % der teilnehmenden Kinder (N = 28) subklinisch internalisierende Probleme aufwiesen (Bräuninger & Röösli, 2023).

Unter internalisierenden Problemen werden nach innen gerichteten Auffälligkeiten wie Ängstlichkeit und Depressivität gezählt, welche von Lehrpersonen oft nicht erkannt oder unterschätzt werden, da diese Kinder den Unterricht nicht stören (Hövel et al., 2024). In der Schweiz liegen kaum Prävalenzdaten zu internalisierenden Problemen bei Kindern vor (Bundesamt für Gesundheit (BAG), 2015). Die nationale Gesundheitsbefragung und das Haushaltspanel berücksichtigen die Altersspanne der Kinder und Jugendlichen nicht, und es existieren keine Daten zu störungsspezifischen Prävalenzraten für Kindern im obligatorischen Schulalter (Krauss & Schellenberg, 2024). Dennoch wird die Versorgungssituation für Kinder mit psychischen Auffälligkeiten als unzureichend eingeschätzt, gekennzeichnet durch lange Wartefristen, Fachkräftemangel, und fehlende Angebote in allen Regionen und Versorgungsbereichen (ambulant, intermediär, stationär) (Stocker et al., 2016).

Im deutschsprachigen Raum zeigen Daten der KiGGS-Welle 2 eine Prävalenz psychischer Auffälligkeiten von 16,9 % bei Kindern und Jugendlichen im Alter von 3 bis 17 Jahren, basierend auf Elternangaben im Stärken-und-Schwächen-Fragebogen (SDQ) (Klipker et al., 2018). In der BELLA-Studie (Klasen et al., 2016) gaben Mädchen im Alter von 7 bis 19 Jahren die «Prävalenz ihrer internalisierenden Auffälligkeiten um etwa 10 Prozent höher an als ihre Eltern (Depression: 20,8 % vs. 12,3 %; Angst: 21,4 % vs. 12,3 %)» (Krauss & Schellenberg, 2024, S. 91).

Bislang fehlen evidenzbasierte PMT-Interventionen zur Behandlung internalisierender Probleme (Bräuninger, et al., 2024). Internationale Studien zeigen jedoch, dass kreative, künstlerisch-bewegungsbasierte Interventionen emotionale Probleme erfolgreich im schulischen Kontext therapieren und Aspekte wie Gesundheit, Ausdruck, Hoffnung und Optimismus fördern können (Bräuninger et al., 2022; Bresler Nardi et al., 2022, 2023; Moula, et al., 2020b; 2022a, 2022b; Wengrower, 2015). Aus ethischer und professioneller Sicht ist es dringend erforderlich, PMT-Interventionen zur Behandlung internalisierender Probleme weiterzuentwickeln. Kreative künstlerisch-bewegungsbasierte Interventionen scheinen innovative, wissenschaftlich fundierte Ansätze anzubieten, die den individuellen Bedürfnissen der Kinder gerecht werden und deren Wohlbefinden und die Gesundheitskompetenzen stärken (Moula et al., 2020a). Ein transnationaler Wissens- und Erfahrungsaustausch bildet eine gute Ausgangsposition für die Identifizierung und Entwicklung spezifischer PMT-Interventionen für Schweizer Primarschulkinder.

Die HfH ist bestrebt, die Berufspraxis der PMT in Lehre und Weiterbildung voranzutreiben und zu spezialisieren. Damit trägt sie ihrer gesellschaftlichen Verantwortung zur kontinuierlichen Professionalisierung der Therapieausbildung und evidenzbasierten Praxis Rechnung.

Vorgehen

Das Projekt adressiert die besonderen Bedürfnisse und fördert die emotionalen Gesundheitskompetenzen und die psychische Gesundheit von Kindern im Primarschulalter mit internalisierten Problemen, welche zur PMT angemeldet werden. Durch die Stärkung der Resilienz, des Wohlbefindens und der Chancengerechtigkeit dieser Kinder trägt das Projekt dazu bei, das Risiko von Benachteiligungen und sozialen Ungleichheiten zu verringern und ihre Teilhabe an der Gesellschaft zu fördern. Dies ist ein wichtiger Schritt, um eine unterstützende Umgebung für alle Kinder zu schaffen.

Das methodische Vorgehen umfasst folgende Schritte:

  • Ein Erfahrungsaustausch zwischen Schweizer und internationalen Kooperationspartner:innen zur Therapie internalisierender Probleme im Schulsetting wird durchgeführt.
  • Rekrutierung von Praktiker:innen für die Pilotphase. Die Pilotdurchführung umfasst die Anwendung der PMT-Interventionen im Schweizer Praxisfeld und die Erprobung deren Praktikabilität.
  • Erfahrungs- und Evaluationsrunde mit Praktiker:innen und Wissenschaftler:innen.

Erwartete Ergebnisse

Im Rahmen des Projekts werden folgende Ergebnisse angestrebt:

  • Identifizierung spezifischer evidenzbasierter kreativ, künstlerisch-bewegungsbasierter Interventionen
  • Aufbau einer Online-Vernetzungsplattform
  • Entwicklung und Durchführung von Ausbildungs- und Weiterbildungsangeboten
  • Wissenschaftliche Publikationen in Open-Access, peer-reviewed Fachzeitschriften (deutsch- und englischsprachig), und weitere Publikationen
  • Darstellung der Projektergebnisse auf der HfH-Homepage
  • Durchführung eines internationalen Abschlusssymposiums am Freitag, 26.06.2026 an der HfH in Zürich
  • Konferenzbeiträge

Fazit für die Praxis

Die Etablierung eines transnationalen Netzwerks mit Fokus auf die Deutschschweiz und europäische Länder hat nationale, regionale, lokale und individuelle Auswirkungen.

Auf nationaler Ebene entsteht durch die Zusammenarbeit der Schweiz mit Israel, Portugal und dem Vereinigten Königreich ein interkantonaler Effekt. In einer nächsten Förderphase sind die Einbindung der italienischen und französischen Schweiz (Hochschule HETS) und weiterer europäischer Partnerländer vorgesehen (Dänemark, Deutschland, Frankreich, Niederlande, u.a.m.).

Auf regionaler Ebene wird die Zusammenarbeit zwischen der HfH und der PMT-Praxis in 13 Deutschschweizer Kantonen und im Fürstentum Liechtenstein gestärkt, was den Theorie-Praxis-Transfer fördert.

Lokal wird das PMT-Feld mit spezifischen innovativen Interventionen im Rahmen von Aus- und Weiterbildungen geschult. Bei Bedarf werden diese Interventionen an die Rahmenbedingungen adaptiert. Dies unterstützt die Professionalisierung der therapeutischen Praktiker:innen. Zusätzliche Angebote wie Online-Coaching und Supervisionsangebote können die Umsetzung und Adaption der Interventionen weiter unterstützen.

Auf individueller Ebene trägt die Etablierung und Weiterentwicklung des Netzwerks zur Qualitätsentwicklung und -sicherung in Lehre, Forschung und in der Praxis bei. Davon profitieren angehende Wissenschaftler:innen und Praktiker:innen und künftige Projekte und Kooperationen können darauf aufbauen.

Nachhaltige Wirkung
Das transnationale Netzwerk von Hochschulen etabliert den Wissens- und Erfahrungsaustausch und neue Formen der internationalen Zusammenarbeit. Das Netzwerk entwickelt weiterführende Projektideen (auch forschungsorientierte) und sichert nachhaltige Kooperationen, um die Förderung der Gesundheitskompetenzen von Kindern durch schulbasierte, spezialisierte, therapeutische Angebote voranzutreiben und kontinuierlich zu verbessern. Damit ist die Nachhaltigkeit der Aktivitäten dieses Projektes gewährleistet.

Literatur

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  • Bräuninger, I., Röösli, P., & Maier, L. (2024). Fachbeitrag: Psychomotorik-Interventionen zur Förderung sozial-emotionaler Kompetenzen und Reduktion von Verhaltensauffälligkeiten. motorik, 47(1), 26–36. https://elibrary.utb.de/doi/pdf/10.2378/motorik20240106
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