Ich baue mir eine Logopädin
Tagungsrückblick
Apps für digitale Therapie bei Aphasie, KI-Chatbots für Wortschatzspiele, Videotrainings für Lautgesten – der digitale Wandel in der Logopädie ist in vollem Gange. Doch die Logopädin wird es auch in Zukunft noch brauchen. Das zeigte die Tagung «Logopädie im digitalen Wandel» vom 14. Juni 2025.

Besser sprechen mit James Bond. Auf die Frage, welche digitalen Tools es denn in der Logopädie heute gibt, antwortet Kerstin Bilda mit einer atemlosen Aufzählung. Diese reicht von Videotrainings von Lautgesten für Kinder über eine App mit Übungen für Vokale und Artikulation («Da spricht die deutsche Synchronstimme von James Bond, ich bin Fan») bis hin zu «neolexon» für Aphasie-Patienten. Das ist die bisher einzige Logopädie-App, die in die digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGa) in Deutschland aufgenommen wurde – eine Art Ritterschlag. Für die klinische Linguistin und Logopädin mit eigener Praxis ist klar: Digitale Assistenten sind in der Logopädie nicht mehr wegzudenken. «Sie liefern einen klaren Mehrwert und bereichern die herkömmliche Therapie», sagt sie und zählt neuerlich auf: attraktive auditive und visuelle Darstellung, viele Materialen, ein motivierendes Feedback, systematische Dokumentation des Fortschrittes, Entlastung der Therapeuten, Eigentraining zuhause. Für Kerstin Bilda ist klar: «Wir müssen vermehrt hybride Lernumgebungen schaffen, in der sich die analoge Therapie und das digitale Potential bestmöglich ergänzen.»
Logopädie im digitalen Wandel: Gespräche zur Tagung
Qualität sichern. Will man digitale Technologien professionell einsetzen, stellen sich aber schnell knifflige Fragen. Was weiss ich zur Qualität einer App? Macht der Einsatz einer App in der Therapie wirklich Sinn? Und was ist zur Wirksamkeit bekannt? Mit diesen Fragen beschäftigt sich Juliane Leinweber. «Im Moment gibt es eine Kluft zwischen Technologie und Wissenschaft», sagt die Professorin für Therapiewissenschaften mit Schwerpunkt Logopädie. Heisst: Es kommen zwar immer wieder neue Tools auf den Markt, deren Qualität und Nutzen aber weitgehend unklar sind. Oft sind es Apps, die nicht spezifisch für eine logopädische Therapie entwickelt wurden. Leinweber entwickelt deshalb mit einem Team eine Datenbank, in der Apps auf der Basis eines Kriterienkatalogs systematisch bewertet werden. «Dies soll den logopädischen Fachpersonen zukünftig eine schnelle Orientierung ermöglichen», so die Forscherin über ihr langfristiges Ziel. Die grösste Herausforderung sieht sie im Nachweis der Wirksamkeit: Verbessert eine App wirklich den therapeutischen Erfolg? «Für die Logopädie ist das die zentrale Frage», sagt Juliane Leinweber.
Therapie mit Chatbot. Betrachtet man den digitalen Wandel in der Logopädie aus der Sicht der Technologie, eröffnet sich nochmals eine ganz neue Perspektive. Das Zauberwort heisst Custom GPT. «Das ist ein eigener Chatbot, der sich massgeschneidert so verhält, wie der Benutzer es will», erklärt Sarah Frédérickx, «also eine Art persönlicher digitaler Assistent». Für die Leiterin Digital Innovation an der Interkantonalen Hochschule für Heilpädagogik (HfH) stellte sich damit die Frage, ob man mit dieser Technologie auch einen digitalen logopädischen Assistenten entwickeln könnte. «Ich baue mir eine Logopädin», so die Idee von Sarah Frédérickx, die sie auch gleich in die Tat umsetzte. Innerhalb weniger Tage entwickelte die Expertin für Digitalisierung einen Chatbot, der mit ihr Artikulationen übte – zum Beispiel die Unterscheidung von s und sch. «Ich war erstaunt über die Lerngeschwindigkeit», bilanziert Sarah Frédérickx, relativiert aber sogleich: «Die Qualität lässt noch zu wünschen übrig, insbesondere für einen spezifischen Kontext wie in der Logopädie.» Dennoch findet sie den Ansatz «vielversprechend», und die Qualität würde sich deutlich verbessern, wenn mehr Trainingsdaten aus der Logopädie zur Verfügung stünden.
Es ist eine Chance. Die Tagung machte deutlich: Die Logopädie-Therapie wird zwar zunehmend digitaler, aber die logopädische Fachperson ist nicht ersetzbar. Vielmehr dürfte ihr Profil geschärft werden. «Apps haben Potential für häufige, standardisierte Probleme im Sprachbereich», sagte Sarah Frédérickx. «Für individuelle Lösungen sind aber nach wie vor die Fachpersonen gefragt.» Dies gilt auch für die Gamification, wie Kerstin Bilda ergänzt: «Spielerische Elemente funktionieren nicht bei allen gleich, jedes Kind und jeder Patient muss wieder anders motiviert werden.» Die Beziehung zwischen der Logopädin und dem Kind bleibt nach wie vor die Basis einer erfolgreichen Therapie, da waren sich alle einig. Unklar ist jedoch, inwieweit die Digitalisierung auch hier Einzug halten wird: «Wenn man von Anfang an eine digitale Beziehung aufbaut, kann das auch therapeutisch funktionieren», so Juliane Leinweber. Zentral für die digitale Weiterentwicklung der Logopädie ist die Haltung: «Aktiv werden, Apps ausprobieren, ins Curriculum integrieren», fordert Kerstin Bilda: «Der digitale Wandel ist eine Chance für uns!»
HfH-Dozent und Logopäde Jürgen Kohler ordnet die Erkenntnisse der Tagung ein.
Die Tagung «Logopädie im digitalen Wandel» fand am 14. Juni 2025 in Zürich statt. Die Impulsreferate und Teile der Workshops wurden online übertragen. Die Tagung war ein Anlass des Instituts für Sprache und Kommunikation und wurde von Susanne Kempe Preti, Prof. und Erika Hunziker, Dr., geleitet.
Autoren: Steff Aellig, Dr., und Dominik Gyseler, Dr., HfH-Wissenschaftskommunikation (Juni 2025).