Baggerzeit statt Hausaufgaben

Antrittsvorlesung

Diagnostik und Förderung sind zwei Seiten einer Medaille. Was das für Kinder mit Lern- und Verhaltensproblemen bedeutet, erläuterte Priska Hagmann-von Arx im Rahmen ihrer Antrittsvorlesung.

Kontakt

Priska Hagmann-von Arx Titel Prof. Dr.

Funktion

Professorin für Lernprozesse und Lernentwicklung unter erschwerten Bedingungen

Was hat er? Was braucht er? Der kleine Nik hat seine Impulse nicht im Griff, wirkt häufig angespannt und aggressiv, befindet sich immer nahe am roten Bereich. Sich auf eine schulische Aufgabe zu konzentrieren, das gelingt ihm nur für wenige Minuten. Und Emotionen von anderen scheinen ihm fremd oder egal zu sein. Im Kindergarten sind seine unkontrollierten Aktionen gefürchtet: Kürzlich riss er einer Mitschülerin völlig unvermittelt die Sonnenblumen aus ihrer Hand. Bei solchen Kindern sind Verdachtsdiagnosen schnell zur Hand: Sicher eine ADHS, vielleicht sogar eine leichte ASS, wer weiss. Aus heilpädagogischer Sicht ist das wenig hilfreich, weiss Priska Hagmann-von Arx: «Wir müssen breit denken, um ein Kind wirklich verstehen zu können», sagt die HfH-Professorin im Rahmen ihrer Antrittsvorlesung zur Diagnostik und Förderung als zentrale Aspekte heilpädagogischen Handelns. Was genau sie damit meint, führt sie in Bezug zum Fallbeispiel aus: «Was Nik hat, ist Diagnostik – was Nik braucht, zielt auf seine Förderung ab.» Diagnostik und Förderung versteht Priska Hagmann-von Arx dabei als zwei Seiten einer Medaille, weist aber darauf hin, dass es da noch einen dritten Aspekt gebe: den Rand. «Man muss diesen Prozess geschickt ins Rollen bringen, damit er auch wirklich der Entwicklung des Kindes dient», so die Expertin.

Ressourcen aktivieren. Bei Nik schaut das im Schnelldurchlauf wie folgt aus. Was hat Nik? Die Fachabklärungen bringen insgesamt fünf Diagnosen ans Tageslicht: allgemeine Lernschwäche, Aufmerksamkeitsstörung, Rechenstörung, isolierte Rechtschreibstörung und emotionale Störung des Kindesalters. «Ein schwerer Rucksack», so die HfH-Professorin, deren «eigenes berufliches Herzblut in den Testverfahren steckt», wie sie selber sagt. Umso wichtiger ist es, Niks Ausgangslage so einschätzen zu können, dass er und sein Umfeld entlastet werden können, etwa bei den Hausaufgaben.

Was also braucht Nik? Ein Training der exekutiven Funktionen liegt nahe. Damit könnte er lernen, seine Impulse besser zu kontrollieren oder sich länger zu konzentrieren. Das Problem: Bei ihm funktioniert das zwar in der Therapie, aber nicht im Klassenzimmer. Für Priska Hagmann-von Arx ein typisches Problem: «Man muss bei der Ausgangslage immer auch den sozialen Kontext berücksichtigen», betont sie. Wenn im Therapieraum alles geordnet sei, zuhause bei Niks Familie aber dauernd im Hintergrund der TV laufe und die Schwester im Wohnzimmer rumturne, werde es mit den Hausaufgaben eben sehr schwierig. Was besser funktioniert: Ein Lerncoaching zur Selbstregulation, das seine Ressourcen aktiviert, hier: Niks Leidenschaft für Traktoren. «Wenn wir von Baggerzeit sprechen und mit einem Bild eines Traktors arbeiten, geht Nik schon viel motivierter an seine Hausaufgaben.» Im folgenden Video-Interview bringt Priska Hagmann-von Arx die Grundidee ihres Ansatzes auf den Punkt und beschreibt, was das für ihre Professorinnenstelle bedeutet.

Video-Interview mit Prof. Dr. Priska Hagmann-von Arx

Die Veranstaltung fand am 17. März 2023 an der HfH statt und wurde online übertragen. Prof. Dr. Priska Hagmann-von Arx ist Professorin für Lernprozesse und Lernentwicklung unter erschwerten Bedingungen am Institut für Lernen unter erschwerten Bedingungen.

Autoren: Dominik Gyseler, Dr. und Steff Aellig, Dr., HfH-Wissenschaftskommunikation