Video-Coaching verbessert den Unterricht

Reportage

Wenn die Klassenlehrperson und die Schulische Heilpädagogin ihren Unterricht filmen und nachher zusammen mit einem Coach professionell analysieren, erhöhen sie die Unterrichtsqualität auf verschiedenen Ebenen. Das zeigt die Interventionsstudie SURE.

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Simona Altmeyer Titel Dr. phil.

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Senior Researcher

Mit Video-Coaching den Unterricht verbessern. Es ist eine Szene, die auf den ersten Blick völlig normal wirkt. Die Klassenlehrperson und die Schulische Heilpädagogin einer Schule treffen sich online, um über ihren Unterricht zu diskutieren. Das Besondere dabei: Sie werden von einem professionellen Coach unterstützt. Und sie diskutieren Filmaufnahmen des eigenen Unterrichts. Jetzt gerade geht es um das Thema «Qualität des Feedbacks». «Schau, wie du Jonas hier immer wieder ermutigst, an der Aufgabe dranzubleiben», spricht der Coach die Schulische Heilpädagogin auf eine Situation im Matheunterricht an. «Du hast eine positive Körpersprache und gehst präzise auf das inhaltliche Problem ein, das er gerade hat», lobt der Coach. Kurz darauf bestärkt er die Klassenlehrperson in ihrem Umgang mit einer Gruppe von Kindern. Genau das ist die Grundidee des Video-Coachings: Die Klassenlehrperson und die Schulische Heilpädagogin sollen sich durch positive Beispiele vom eigenen Unterricht zunehmend als selbstwirksam und handlungsfähig erleben.

Interventionsstudie mit integrativen Regelklassen. Nun zeigt ein Nationalfondsprojekt: Es funktioniert. Dies ist der zentrale Befund der gross angelegten HfH-Interventionsstudie zur Steigerung der Qualität der Unterrichtsinteraktionen in integrativen Regelklassen, kurz: SURE. «Videobasierte Weiterbildungen mit einem Coach erweitern das Know-how der Lehrpersonen besser als andere Methoden», sagt Studienleiterin Simona Altmeyer. Zusammen mit ihrem Team hat die HfH-Dozentin in einer Längsschnittstudie zwei Gruppen verglichen, die beide als Basis Filmaufnahmen des eigenen Unterrichts verwendeten. Einmal analysierten die Lehrperson und die Schulische Heilpädagogin ihren Unterricht mit einem Coach, die andere Gruppe tat dies kooperativ als Team – aber ohne Coach. Beide jeweils über ein Jahr hinweg. Insgesamt nahmen 64 integrative Regelklassen der 3. bis 6. Primarschulstufe aus 14 Kantonen der Deutschschweiz an der Studie teil. Es ist damit eine der grössten ihrer Art.

Verbesserung der Unterrichtsqualität. Die Befunde sprechen eine klare Sprache. So schneidet die Gruppe mit Video-Coaching insgesamt in der Verbesserung der Unterrichtsinteraktionen signifikant besser ab – da geht es um Bereiche wie die emotionale Unterstützung, die Klassenführung oder die Lernunterstützung. Es ist das Fundament eines guten Unterrichts. Wenn man die einzelnen Daten anschaut, wirken die Effekte auf den ersten Blick allerdings recht unspektakulär. So erhöht sich etwa die Interaktionsqualität innerhalb von sechs Monaten um einen halben Punkt, von 4.5 auf 5, wobei 7 die Höchstzahl ist. «Das klingt rein von den Zahlen her natürlich erstmal nicht nach viel, ist aber in Tat und Wahrheit eine substanzielle Verbesserung», ordnet Simona Altmeyer ein. Für sie ist klar: «Gelungene Interaktionen zwischen Lehrpersonen und den Kindern sind der Dreh- und Angelpunkt erfolgreichen Lehrens und Lernens.»

  Die Grafik zeigt den Aufbau der Interventionsstudie zur Qualität des Unterrichts SURE. Die Studie basiert auf der Analyse von Filmsequenzen mit Interaktionen aus dem eigenen Unterricht, welche ein Coach mit den Fachpersonen (Klassenlehrperson, Schulische Heilpädagogin) durchführt.

Beschreibung der Grafik

Die Grafik zeigt den Aufbau der Interventionsstudie zur Qualität des Unterrichts SURE. Die Studie basiert auf der Analyse von Filmsequenzen mit Interaktionen aus dem eigenen Unterricht, welche ein Coach mit den Fachpersonen (Klassenlehrperson, Schulische Heilpädagogin) durchführt. Die Ergebnisse zeigen, dass die Gruppe mit Video-Coaching sich über die Zeit signifikant verbessert, während die aktive Kontrollgruppe sich nicht verändert. Für Dr. Simona Altmeyer, Studienleiterin, ist somit klar: «Video-Coaching verbessert die Interaktion zwischen Lehrpersonen und Kindern.»

Das Coaching gründet auf dem fünfstufigen Modell «MyTeachingPartner». Diese sind (1) Filmen der Lektion, (2) Coach stellt Fragen, (3) Fachpersonen antworten, (4) weitere Schritte zusammen planen und (5) Fachpersonen setzen um.

Neue Perspektiven. Aber was genau ist denn nun das Erfolgsrezept des Video-Coachings? Hier lohnt sich ein Blick auf den Prozess. Dieser orientiert sich an MyTeachingPartner™, einem Modell aus den 2000er Jahren mit fünf Phasen. Vereinfacht gesagt ermöglicht dieses Verfahren, ausgewählte Sequenzen des eigenen Unterrichts durch den professionellen Austausch mit einem Coach mit anderen Augen zu sehen und so blinde Flecken zu entdecken, eingeschliffene Routinen aufzubrechen und subjektive Überzeugungen zu hinterfragen. «Entscheidend ist der positive Fokus auf die ausgewählten Unterrichtssituationen», sagt Simona Altmeyer. Es soll also dezidiert kein Verfahren sein, in dem man die eigenen Fehler vorgeführt bekommt. Vielmehr wählt der Coach aus 45 Minuten Unterricht jeweils drei positive Sequenzen aus, die dann gemeinsam angeschaut werden. «Gute Beispiele findet man immer», sagt Simona Altmeyer aus Erfahrung. Die Fachpersonen lernen zudem mit der Zeit, eine gemeinsame Sprache zu sprechen, was für das gegenseitige Verstehen sehr wichtig ist. «Das Video-Coaching führt zu einer ganz neuen Qualität einer kollegialen und effizienten Zusammenarbeit zwischen Lehrperson und Schulischer Heilpädagogin», sagt Simona Altmeyer. 

Hürden. Kritisch nachgefragt: Warum hat sich dieses Modell nicht schon längst flächendeckend durchgesetzt? «Viele kennen es noch nicht», sagt die Studienleiterin und ergänzt: «Es ist natürlich auch mit einem gewissen Aufwand verbunden: Man muss Unterrichtslektionen filmen, braucht Zeit für das Coaching selbst, das mehrere Zyklen umfasst, und nicht zuletzt erfordert es auch eine Portion Mut, sich der professionellen Analyse zu stellen.» Deshalb sind für Simona Altmeyer gerade solche wissenschaftlichen Befunde wichtig, um das Vertrauen in die Wirksamkeit zu stärken und das Video-Coaching stärker in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung zu verankern. Die HfH-Dozentin selbst bietet zusammen mit ihrem Team an der HfH den CAS «Unterrichtscoaching mit MyTeachingPartner™» an. 

Inklusiver Unterricht. Zurück zur Anfangsszene. Bereits am nächsten Tag setzen die Klassenlehrperson und die Schulische Heilpädagogin die Erkenntnisse vom Coaching über ein gutes Feedback in die Praxis um. Während die Lehrperson im Matheunterricht mit einer Schülerin bei der Rückmeldung über Lernstrategien spricht, legt die Schulische Heilpädagogin den Fokus bei einem Schüler, der Lernprobleme und Versagensängste hat, auf seine Stärken und meldet ihm diese konsequent zurück. «Durch das Coaching haben beide Fachpersonen grösseres Vertrauen in sich selbst und in die Lernenden gewonnen», sagt Simona Altmeyer. Gemeinsam legen sie so die Basis für einen erfolgreichen Unterricht – und damit für schulische Inklusion. 

Autoren: Dominik Gyseler, Dr. und Steff Aellig, Dr., HfH-Wissenschaftskommunikation (Januar 2025)