Empirische Annäherung und Validierung des Konstrukts Gebärdenfluss in der DSGS

Kategorie Projekt

Ausgangslage und Ziele

Ziel des Projektes war es empirisch Aspekte von Gebärdenfluss wie Pausen oder Wiederholungen in der Deutschschweizerischen Gebärdensprache (DSGS) zu beschreiben und darauf aufbauend ein Bewertungsinstrument für die DSGS zu entwickeln. Auf Grundlage unterschiedlicher Datenquellen, konnten wir Kriterien für ein Bewertungsinstrument identifizieren und das Instrument anhand von DSGS-Performanzen validieren. Das Instrument kann in Zukunft in unterschiedlichen Kontexten zur Überprüfung der DSGS-Kompetenz von Lernenden eingesetzt werden.

Projektzusammenfassung in Deutschschweizer Gebärdensprache (DSGS)

Projektleitung

Tobias Haug Titel Prof. Dr.

Funktion

Professor für Gebärdensprache und Partizipation bei Hörbehinderung / Leiter Bachelor Gebärdensprachdolmetschen

Fakten

  • Dauer
    11.2020
    12.2022
  • Projektnummer
    4_48

Projektteam

Finanzielle Unterstützung

Ausgangslage und Ziele

Im Bereich des Gebärdensprachlernens gibt es eine anhaltende Diskussion darüber, was es bedeutet, eine Gebärdensprache «zu beherrschen» oder sie «fliessend» benutzen zu können. Während der Kenntnisstand über den Redefluss gesprochener Sprachen wissenschaftlich gut abgesichert ist, ist der Forschungsstand zum Gebärdenfluss eher spärlich. Redefluss ist ein zentrales Kriterium für die Kompetenz in einer Fremdsprache und beschäftigt sich mit den zeitlichen Aspekten des Sprechens, wie Geschwindigkeit, Pausen oder Zögern. Ziele des vorliegenden Projekts waren es, das Konstrukt des Gebärdenflusses in der Deutschschweizerischen Gebärdensprache (DSGS) zu untersuchen und darauf aufbauend ein Beurteilungsinstrument zu entwickeln und validieren.

Methodisches Vorgehen

Für dieses Projekt wurden drei Arbeitspakete (AP) definiert. In AP1 wurde ein Fokusgruppen-Interview mit gehörlosen Gebärdensprachlehrpersonen durchgeführt mit dem Ziel, mögliche Merkmale herauszufinden, die Gebärdenfluss beschreiben können. Für AP2 wurde ein Experiment konstruiert, in denen (1) beginnende hörende erwachsene Lernende der DSGS (GER-Niveaustufen A1/A2), (2) fortgeschrittene hörende Benutzer:innen der DSGS (GER-Niveaustufen B2/C1) und (3) gehörlose muttersprachliche L1-Benutzer:innen der DSGS eine Reihe von Aufgaben in DSGS lösen sollen. Bei diesem Experiment wurde die Vorbereitungszeit (mit und ohne) verändert. Alle Studienteilnehmenden wurden für die spätere Auswertung auf Video aufgenommen. Die Videodaten wurden für die Auswertung in einer speziellen Software annotiert. Das Ziel war zu sehen, ob es zwischen den Gruppen erwachsener L1- und L2-Benutzer:innen Unterschiede in der DSGS-Produktion gibt, wie z.B. Häufigkeit und Anzahl von Pausen, Selbstkorrekturen, Wiederholungen und Verwendung nicht-manueller Komponenten. In  AP3 wurde auf der Grundlage der Ergebnisse der Fokusgruppe (AP1), kombiniert mit den Ergebnissen aus AP2, ein Beurteilungsinstrument für den Gebärdenfluss entwickelt. Ziel von AP3 war es, herauszufinden, inwieweit die auf AP1 basierenden Kriterien von Gebärdenfluss an den Gebärdensprachproduktionen erwachsener Lernender der DSGS validiert werden können.

Ergebnisse

Im Fokusgruppen-Interview identifizierten die Gebärdensprachlehrpersonen eine Reihe von beschreibenden Merkmalen von Gebärdenfluss, z.B. Pausen, Wiederholungen und Selbstkorrekturen. Die annotierten gebärdensprachlichen Daten von den drei Gruppen von DSGS-Benutzer:innen wurden mit verschiedenen statistischen Verfahren analysiert, um herauszufinden, inwiefern der sprachliche Hintergrund und die Vorbereitungszeit der Aufgaben Aspekte des Gebärdenflusses (z. B. Anzahl und Dauer der Pausen) beeinflussen können. Während die Vorbereitungszeit in den annotierten Daten nur einen geringen Einfluss zeigte, zeigte der sprachliche Hintergrund einen deutlichen Einfluss  in Bezug auf Aspekte vom Gebärdenfluss, z.B. gehörlose L1 Benutzende der DSGS produzieren weniger Pausen und Wiederholungen und gebärden schneller als beginnende Lernende der DSGS (GER-Niveau A1/A2). Diese Ergebnisse waren die Grundlage für die Entwicklung des Beurteilungsinstruments. Das Instrument bestand aus sechs Kriterien, jedes auf einer Sechs-Punkte-Skala.
Die DSGS-Produktionen der unterschiedlichen DSGS-Benutzer:innen wurden von drei Beurteiler:innen bewertet. Die statistische Auswertung des Beurteilungsinstruments ergaben, dass die erforschten Kriterien für das Beurteilungsinstrument gut funktionieren. Die verschiedenen Datenquellen bilden eine gute empirische Grundlage zum Verstehen des Konstrukts «Gebärdenfluss in der DSGS».

Fazit für die Praxis

Für die Praxis bedeuten die Ergebnisse, dass einmal Aspekte vom Gebärdenfluss beschrieben sind und in die DSGS-Lehre einbezogen werden können. Des Weiteren kann das Beurteilungsinstrument u.a. bei Prüfungen zur DSGS verwendet werden. 

Publikationen

  • Haug, T., de Jong, N., Tissi, K., Perrollaz, R., Sidler-Miserez, S., & Reinhard, S.
    Data-driven development of a fluency rating scale for Swiss German Sign Language (DSGS).
    What is sign language fluency? Online dissemination event of the SNSF project "Approaching and validating the construct of fluency in Swiss German Sign Language (DSGS),
    online.
  • Haug, T., & Tissi, K.
    Was bedeutet es, flüssig zu gebärden?
    Forschungskolloquium, Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik,
    Zürich, Schweiz.
  • Haug, T., Tissi, K., Holzknecht, F., de Jong, N., & Battisti, A.
    Development of a fluency rating scale for Swiss German Sign Language.
    European Association for Language Testing and Assessment (EALTA) SIG for SIGN Webinar,
    Online.