Der mediale Temporallappen für das visuelle Arbeitsgedächtnis

Kategorie Projekt

Ausgangslage und Ziele

Das Arbeitsgedächtnis spielt eine wichtige Rolle bei Schulleistungen (Gathercole, Pickering, Knight & Stegmann, 2004). Mit diesem Projekt liefern wir neue Erkenntnisse, die uns helfen zu verstehen wie das Gehirn seine Ressourcen für Arbeitsgedächtnisprozesse nutzt und wie es unter Belastung arbeitet.

Projektleitung

Peter Klaver Titel Prof. Dr.

Funktion

Leiter Zentrum Forschung und Wissenstransfer / Professor

Fakten

  • Dauer
    04.2020
    10.2020
  • Projektnummer
    1_25

Projektteam

  • Ece Boran
  • Johannes Sarnthein

Finanzielle Unterstützung

Fragestellung

Das Arbeitsgedächtnis gehört zu den drei zentralen Komponenten der Exekutiven Funktionen (neben Flexibilität und Inhibition) und spielt eine wichtige Rolle bei Schulleistungen (Gathercole, Pickering, Knight & Stegmann, 2004). Neuere Erkenntnisse aus der Hirnforschung deuten auf eine mögliche Rolle des medialen Temporallappens im Arbeitsgedächtnis hin, insbesondere dann, wenn gleichzeitig neue Informationen verarbeitet werden sollen (z.B. von Allmen, Wurmitzer, Martin & Klaver, 2013; von Allmen, Wurmitzer & Klaver, 2014). Direkte Evidenz dafür fehlt jedoch, da Patientenstudien und Studien mit bildgebenden Verfahren nicht genau genug sind (Jonides, Lewis, Nee, Lustig, Berman & Moore, 2008). Mit diesem Projekt liefern wir neue Erkenntnisse, die uns helfen zu verstehen, wie das Gehirn seine Ressourcen im medialen Temporallappen für Arbeitsgedächtnisprozesse nutzt und wie es unter Überforderung des Arbeitsgedächtnisses arbeitet.

Die zentrale Frage lautet daher: Welche Funktion hat der mediale Temporallappen bei der Unterstützung von Arbeitsgedächtnisprozessen unter hoher Belastung?

Methodisches Vorgehen

An der Studie nahmen 13 Patientinnen und Patienten mit einer therapieresistenten Epilepsie teil, welche im Rahmen einer präoperativen Abklärung mit Tiefenelektroden im medialen Temporallappen am Schweizer Epilepsiezentrum diagnostisch untersucht wurden. Die Patienten lösten eine visuell-räumliche Arbeitsgedächtnisaufgabe während dem ihre hirnelektrische Aktivität von den Nervenzellen abgeleitet wurde. Die Aufgabe bestand darin farbige Quadrate für eine kurze Zeit zu memorieren (initiale Präsentationsdauer = 800 ms). Nach einer kurzen Verzögerung von 900ms, wurde bei einer erneuten Präsentation der Quadrate mittels Tastendruckes bestätigt, ob es sich um das gleiche Arrangement handelte oder ob die Farbe eines Quadrats änderte (Luck & Vogel, 1997). Die Aufgaben wiederholten sich mit unterschiedlichen Farben und Positionen der Quadrate, und mit unterschiedlicher Arbeitsgedächtnisbelastung (1, 2, 4 und 6 Quadrate). Es gab 48 Durchgänge pro Arbeitsgedächtnisbelastungsbedingung. Wir analysierten die Einzelzellaktivität im Hippocampus, im entorhinalen Kortex und in der Amygdala mittels Methoden, welche mit denen einer vorherigen Studie vergleichbar sind (Boran, Fedele, Klaver, Hilfiker, Stieglitz, Grunwald & Sarnthein, 2019). Die neuronale Aktivität wurde mit Verhaltensdaten (Fehlerrate und Arbeitsgedächtniskapazität nach Pashler, siehe Rouder et al. 2011) in Zusammenhang gebracht.

Ergebnisse

Frühere Studien mit der gleichen Aufgabe zeigten eine Arbeitsgedächtniskapazität von ungefähr 4 Quadraten bei Erwachsenen und Jugendlichen und 3 Quadraten bei Kindern (von Allmen, Wurmitzer, Martin & Klaver, 2013; von Allmen, Wurmitzer & Klaver, 2014). Bei Patient:innen fanden wir wie erwartet mit einer Arbeitsgedächtniskapazität von 3 Objekten eine geringere Leistung im Vergleich zu gesunden Erwachsenen. In drei Regionen des medialen Temporallappens (Hippocampus, entorhinaler Kortex und Amygdala) fanden wir Neuronen, die eine persistierende erhöhte Aktivität während dem Behalten visueller Information im Arbeitsgedächtnis zeigten. Ein Teil dieser Neuronen im Hippocampus und im entorhinalen Kortex zeigte eine erhöhte Aktivität mit ansteigender Arbeitsgedächtnisbelastung. Es gab mehr aktive Neuronen im Hippocampus bei Aufgaben, die korrekt gelöst wurden, als bei Aufgaben, die nicht korrekt gelöst wurden. Zudem war die Aktivität im medialen Temporallappen während der Phase des Behaltens (kurze Verzögerung) prädiktiv für die Arbeitsgedächtnisbelastung.

Diskussion und Fazit

Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass der mediale Temporallappen bei hoher und niedriger Belastung des Arbeitsgedächtnisses eingesetzt wird. Das persistierende Feuern von Neuronen unterstützt den Prozess des Behaltens von Information im Arbeitsgedächtnis. Dies wiederspricht der Auffassung, dass der mediale Temporallappen ausschliesslich für das Langzeitgedächtnis genutzt wird. Zukünftige Studien sollten untersuchen, ob sich diese Form von neuronaler Aktivität auf die Ressourcenverteilung oder Fehlerart auswirkt. In der Heilpädagogik können diese Erkenntnisse zum Verständnis von Ressourcen und Umgang mit Ressourcen bei Kindern mit geringer Arbeitsgedächtniskapazität beitragen.

Referenzen

  • Boran, E., Fedele, T., Klaver, P., Hilfiker, P., Stieglitz, L., Grunwald, T., & Sarnthein, J. (2019). Persistent hippocampal neural firing and hippocampal-cortical coupling predict verbal working memory load. Sci Adv, 5:eaav3687.
  • Rouder, N.J., Morey, R.D., Morey, C.C., & Cowan, N. (2011). How to measure working memory capacity in the change detection paradigm. Psychon Bul Rev 18: 324-330.
  • Gathercole, S.E., Pickering, S.J., Knight, C., & Stegmann, Z. (2004). Working memory skills and educational attainment: evidence from national curriculum assessments at 7 and 14 years of age. Appl Cognit Psychol, 18, 1-16.
  • Jonides, J., Lewis, R.L., Nee, D.E., Lustig, C.A., Berman, M.G., & Moore, K.S. (2008). The mind and brain of short-term memory. Annu Rev Psychol, 59: 193-224.
  • Luck, S.J. & Vogel, E.K. (1997). The capacity of visual working memory for features and conjunctions. Nature, 390: 279-281.
  • Von Allmen, D.Y., Wurmitzer, K., Martin, E., & Klaver, P. (2013). Neural activity in the hippocampus predicts visual short-term memory capacity. Hippocampus, 23:606-615.
  • Von Allmen, D.Y., Wurmitzer, K., & Klaver, P. (2014). Hippocampal and posterior parietal contributions to developmental increase in visual short-term memory capacity. Cortex, 59:95-102.

Publikationen