Was die Digitalisierung zur Inklusion beitragen kann

Antrittsvorlesung

Vom Screenreader über das Tablet bis zum 3D-Drucker: Digitale Geräte können die Bildung chancengerechter machen. Doch es gibt noch viel zu tun, wie in der Antrittsvorlesung von Ingo Bosse klar wurde.

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Ingo Bosse Titel Prof. Dr.

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Professor für ICT for Inclusion

Inklusion und Digitalisierung sind zwei Megatrends in der Heilpädagogik. «Leider werden sie häufig getrennt diskutiert», sagt Ingo Bosse. «Dabei können digitale Geräte und assistive Technologien sehr wirkungsvolle Instrumente zur Förderung von chancengerechter Bildung und Inklusion sein.» Was das genau heisst, wie weit man in diesem Vorhaben ist und welche Beiträge er selber dazu leistet, führte Bosse im Rahmen seiner Antrittsvorlesung als Professor für ICT for Inclusion aus. Das folgende Video-Interview mit Ingo Bosse wurde im Rahmen der HfH-Tagung «ICT in der Heilpädagogik» im November 2021 geführt. Es gibt einen Einblick in sein Fachgebiet.

ICT-Experte Ingo Bosse im Gespräch mit Dominik Gyseler von der HfH-Wissenschaftskommunikation

Kein Selbstläufer. Digitale Lesestifte oder Screenreader sind bekannte Beispiele, wie Menschen mit einer Behinderung ein besserer Zugang zur Bildung ermöglicht wird. Doch wer meint, mit der zunehmenden Digitalisierung und dem Einbezug von Smartphones und Tablets im Unterricht würde die Bildung noch chancengerechter, liegt falsch. Denn der heilpädagogisch sinnvolle Einsatz digitaler Geräte und assistiver Technologien ist kein Selbstläufer, betont Ingo Bosse – im Gegenteil: «Es besteht sogar die Gefahr neuer Ungleichheiten», warnt er und führt das Beispiel der Chat-Gruppe einer Schulklasse auf WhatsApp an, in der just das Kind mit Lernproblemen eben nicht dabei ist: «Soziale Akzeptanz ist zunehmend von Medienkompetenz abhängig.»

Es braucht Forschung. Wie weit verbreitet diese und andere Schattenseiten der Digitalisierung sind, ist aber noch unklar: «Die Datenlage zur digitalen Teilhabe von Kindern und Jugendlichen mit Beeinträchtigungen ist ziemlich dürftig», sagt Ingo Bosse. Er selbst setzt deshalb im Rahmen seiner Professorenstelle einen Schwerpunkt auf die Forschung. So untersucht er aktuell im Projekt «Virtual Reality for Children with Special Needs» in Kooperation mit der ZHAW Winterthur, wie virtuelle Lernumgebungen für Menschen mit Behinderungen gestaltet werden. Um zwei Beispiele zu nennen: Elektrorollstuhl-Nutzende absolvieren in einem Bewegungs-Simulator ein Mobilitätstraining und lernen, beliebige virtuelle Orte zu besuchen und sich dabei sicher zu fühlen. Oder: Kinder mit Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) lernen mit Hilfe von Virtual Reality-Brillen, Emotionen aus Gesichtern abzulesen.

Labor der Zukunft. Wichtig für gerechtere Bildungschancen ist laut Bosse auch die Medienkompetenz der heilpädagogischen Fachpersonen. Deshalb veröffentlichten Fachleute der HfH im Frühjahr 2022 die Plattform «ICT for Inclusion», auf der unter anderem nützliche Technologien und digitale Tools für die Praxis abrufbar sind. Doch Wissen allein genügt nicht. «Fehlende Selbstwirksamkeitserfahrungen halten Fachpersonen oft davon ab, digitale Medien häufiger zu nutzen», sagt Ingo Bosse. Und er hat schon eine genaue Idee, wie man dieses Problem angehen könnte. Seine Vision: ein «Hybrid Learning Lab». Dieses soll aus verschiedenen Teil-Laboren bestehen, in denen heilpädagogisch-therapeutische Fachpersonen ganz real die Möglichkeiten digitaler Technologien erfahren – bis hin zum barrierearmen 3D-Drucker. Ganz nach dem Motto: Learning by Doing!

«ICT for Inclusion als Policy: fünf strategische Schwerpunkte in Forschung und Praxis» lautete der Titel der Antrittsvorlesung zur Professorenstelle von Ingo Bosse. Die HfH-Veranstaltung fand am 28. Juni 2022 vor Ort statt und wurde online übertragen.

Autoren: Steff Aellig, Dr. und Dominik Gyseler, Dr., HfH-Wissenschaftskommunikation