Risikofaktoren bei Jugendlichen und ihre Auswirkungen im Erwachsenenalter

Kategorie Projekt

Ausgangslage und Ziele

Längsschnittstudien werden in der Entwicklungspsychologie zwar immer wieder gefordert, aber doch eher selten realisiert. Insbesonderer behinderte und benachteiligte Gruppen werden aus «erhebungstechnischen»; Gründen meist ausgeschlossen. So bleiben die Studien von Riedo (2000) und Blöchlinger (1991) Ausnahmen in der Sonderpädagogik. Als Alternative zu eigens konzipierten, aufwändigen Längsschnittstudien bleibt die Möglichkeit der Sekundäranalyse bereits bestehender Datensätze.

Projektleitung

Kurt Häfeli Titel Prof. Dr. em.

Funktion

Ehemaliger Leiter Forschung und Entwicklung

Fakten

  • Dauer
    08.2004
    07.2005
  • Projektnummer
    1_2

Fragestellung

Jugendliche, welche aufgrund verschiedener Indikatoren als «Risikogruppe»; bezeichnet werden können, sollen bezüglich ihrer weiteren beruflichen und persönlichen Entwicklung untersucht werden. Dabei wird von einer mehrdimensionalen Perspektive ausgegangen: Risiko im Jugendalter kann sich auf bestimmte Persönlichkeitsmerkmale (tiefe Leistungsfähigkeit, niedriges Selbstwertgefühl, selbstschädigendes Verhalten etc.) oder auf das soziale Umfeld (z.B. soziale Herkunft) beziehen. Diese Risikofaktoren sollen in Beziehung zur weiteren Entwicklung im Erwachsenenalter gesetzt werden.

Methodisches Vorgehen

Mittels einer Sekundäranalyse der ZLSE (Zürcher Längsschnittstudie «Von der Schulzeit bis zum mittleren Erwachsenenalter») wurde der weitere berufliche und persönliche Verlauf von 15-jährigen Jugendlichen untersucht. Die Jugendlichen wurden mehrfach befragt und untersucht, zuletzt als junge Erwachsene im Alter von 36 Jahren (Schallberger & Huldi, 2001).

Die ZLSE umfasst eine tendenziell repräsentative Stichprobe von 394 Deutschschweizer Personen, allerdings wiederum ohne Sonderklassen und Sonderschulen. Der Datensatz mit rund 3'500 erfassten Merkmalen zeichnet sich durch eine ausserordentliche Breite und Vielfalt aus (Häfeli et al., 1988). So liegen Daten zur kognitiven Leistungsfähigkeit, zu klassischen Persönlichkeitsdimensionen, zum Selbstkonzept, zum Eigenmachtgefühl, zur Befindlichkeit, zur Arbeits- und Ausbildungssituation etc. vor. Auch Einschätzungen der Lehrpersonen (9. Klasse) wurden erhoben.

Ergebnisse

In Bezug auf die Betroffenheit von Risikofaktoren im Jugendalter zeigte sich Folgendes: Knapp zwei Drittel (63 %) der Untersuchungspersonen hatten in ihrer Jugend in mindestens einem der Bereiche «Gesundheit»;, «Fähigkeiten»;, «Persönlichkeit»;, «familiäre und soziale Herkunft»; oder «Freizeitverhalten»; eine problematische Ausgangslage. Ein grösserer Teil unter ihnen (28 % der Gesamtstichprobe) hatte dabei sogar in mehreren Bereichen Schwierigkeiten.

Trotz dieser breiten Betroffenheit von ungünstigen Ausgangslagen im Jugendalter, sind die Lebensverhältnisse der Untersuchungspersonen im Erwachsenenalter ausgesprochen gut. Bei einer Befragung, die im 36. Lebensjahr der Untersuchungspersonen durchgeführt wurde, bekundet der überwiegende Teil von ihnen eine grosse Zufriedenheit sowohl mit dem Berufsleben (80 %) als auch mit dem Privatleben (90 %).

Die Lebenssituation im Erwachsenenalter sieht auch aus «objektiver»; Sicht erfreulich aus. Die meisten untersuchten Personen haben sich unterdessen beruflich gut situieren können. Nur 6 % von ihnen üben Tätigkeiten ohne Qualifikationsanforderungen (z.B. Hilfsarbeit) aus. Weiter lebt der überwiegende Teil von ihnen heute in einer festen Paarbeziehung (88 %), und 7 von 10 Personen haben eigene Nachkomment.

Diese Befunde stimmen mit anderen Längsschnittstudien überein. Bei der Mehrzahl der risikobetroffenen Personen kann längerfristig von einer positiven Entwicklung und einer gelungenen Adaptation im Erwachsenenalter gesprochen werden. Resilienz und Schutzfaktoren dürften wesentlich dazu beigetragen haben, die negativen Auswirkungen von Risikofaktoren einzuschränken.

Trotzdem ist die Ausgangslage Heranwachsender keineswegs bedeutungslos für die weitere Entwicklung. Es zeigte sich hier, dass Personen, die in der Jugend Risikofaktoren ausgesetzt sind, im Erwachsenenalter aus subjektiver wie auch aus objektiver Sicht weniger Erfolg haben als jene mit einer problemlosen Jugend.

Allerdings gilt dies nicht pauschal für die gesamte Lebenssituation. Vielmehr ist es so, dass spezifische Risikofaktoren in der Jugend sich auf spezifische Aspekte des Lebens im Erwachsenalter auswirken. So haben beispielsweise Jugendliche mit sehr geringen kognitiven Fähigkeiten häufig tiefe berufliche Positionen inne. Deswegen sind sie aber keineswegs unzufriedener bei der Arbeit als andere, und auch in ihrem Privatleben lassen sich keine Nachteile feststellen. Dagegen haben Jugendliche, die aufgrund geringer manueller Fähigkeiten auffallen, später zwar nicht im Berufsleben, jedoch im Privatleben verminderte Erfolgschancen: Sie haben seltener eine feste Partnerschaft und seltener eigene Kinder als ihre geschickteren Altersgenossen.

Risikofaktoren, die ausserhalb der Person liegen, zeitigen ebenfalls ihre Auswirkungen. So haben Personen, die nur bei einem Elternteil aufgewachsen sind, im Vergleich zu jenen aus vollständigen Herkunftsfamilien, seltener eine feste Paarbeziehung. Ferner ist die soziale Herkunft ein Indikator für den beruflichen Erfolg. Ausserdem zeigte sich, dass auch das Freizeitverhalten eine Rolle spielt: Jugendliche, die ihre Freizeit in strukturierten Gruppen verbringen – sei es in einem Verein, einem Club oder in Kursen – , haben bessere Karrierechancen.

Als praktische Konsequenz ist zum einen die Verringerung der Risikoeinflüsse wichtig. Zum andern sollten – quasi als Gegenpol – Schutzfaktoren und Resilienz gefördert werden (vgl. Werner, 1997; Opp et al. 1999). Die Schutzfaktoren liegen zum einen in der Person selber (z.B. Temperament, Problemlösungsrepertoire), zum andern in der Herkunftsfamilie. Im Verlaufe der Entwicklung kann aber auch das weitere Umfeld in der Verwandtschaft, Nachbarschaft, Schule, Ausbildung, Freizeit eine wichtige, kompensatorische Rolle spielen. Und im Erwachsenenalter können weitere günstige Umweltbedingungen (Partnerschaft, Beruf, Vereine, religiöse Gruppierungen usw.) dazu kommen. Resilienz und Schutzfaktoren können durch Interventionsprogrammen gezielt gefördert werden.

Publikationen